An der Hasper Talsperre sorgt Deutschlands größtes Lachszentrum für Nachwuchs
Sind die kleinen Lachse über 15 Zentimeter lang, werden sie in die Freiheit entlassen
Lachse inspirieren zu Traumbildern. Von Alaska in erster Linie. Von reißenden Stromschnellen, an denen Bären auf ihre Beute lauern. Wenn die Fische aus dem seichten Wasser springen, schnappen die Raubtiere zu. „Die Lachse haben wir inzwischen. Um die Bären müssen sich andere kümmern“, scherzt Dr. Rainer Hagemeyer. Der Zahnarzt aus Hagen verpflanzt das prächtige Naturschauspiel aus der nordamerikanischen Wildnis ins Bergische Land. Meilenweit entfernt von „grenzenloser Freiheit fuhrt die Anfahrt durch das traditionsreiche Industrie Viertel Haspe. Vorbei an kleinen Fabriken und Häuserzeilen. Nach etlichen Kilometern fordert ein längst verblasstes Hinweisschild zum Linksabbiegen auf. Der schmale Weg schlängelt sich scheinbar unendlich weiter bis zur Hasper Talsperre, bis zum größten Lachszentrum in Deutschland. Nach dem Abschluss der zweiten Ausbaustufe in wenigen Wochen können sich in den Rundbecken der modernen Aufzuchtstation sage und schreibe zwei Millionen Fische tummeln.
Die Bedingungen hier sind einfach optimal, schwärmt Dr. Rainer Hagemeyer über den nur für den Laien kuriosen Standort. Als einer der Hauptinitiatoren hat der Präsident des Landesfischereiverbandes in Westfalen Lippe unterhalb der Staumauer ein ehrgeiziges Vereinsprojekt „an Land gezogen“, das europaweit mit einzigartigen Bedingungen für Aufmerksamkeit sorgt. Die Wasserqualität sei dabei der entscheidende Faktor, fügt der passionierte Angler und Jäger hinzu.
Als vor zwei Jahren die Versuchsanlage mit zunächst vier Becken in Betrieb ging, galt das kritische Hauptaugenmerk der Experten dem Zufluss aus der Talsperre.“ Wir entnehmen das Tiefenwasser“, erläutert der Hagener. „Seine chemischen Parameter waren uns bekannt. Aber die offene Frage lautete damals: Wie ist der Sauerstoffgehalt bei hohen Temperaturen oder etwa im anderen Extrem unter einer Eisdecke. Die Langzeit Beobachtungen halten den Nachweis erbracht, dass der Anteil der Sauerstoff Sättigung immer mindestens 100 Prozent betrage.
Weitere Vorteile schälten sich schnell heraus. „Es gibt keine Schwankungen beim Ph-Wert und keine Trübungen, auch bei starken Regenfällen nicht“, unterstreicht Dr. Hagemeyer, der im gleichen Atemzug die Konstanz bei der Wassertemperatur lobt . „Sie ist über lange Zeit fast gleichbleibend, im Winter bei vier bis fünf Grad, im Sommer bei 20 Grad.“ Für die Lachszucht sei das ideal, da die Fische in einem Bereich zwischen acht, zehn und 17 Grad „sehr gut wachsen“.
Die Station bietet nach Ansicht des Fachmannes in dieser Form „auch im internationalen Vergleich, einmalige Möglichkeiten“. „In Europa und in den nordatlantischen Ländern gibt es keine Einrichtung, die das Tiefenwasser einer Talsperre nutzt“, hebt der engagierte Projektbetreiber hervor.
Stufenweise erfolgt in Rundbecken die Aufzucht der Lachse
Probleme stellten sich während der Versuchsphase mit Kieselalgen ein. Die unerwünschten Eindringlinge „verschmutzten“ die Becken. Eine kostspielige „UV Anlage“ (Preis: 25 000,-€) schiebt diesen Zufluss inzwischen buchstäblich einen Riegel vor. Das ultraviolette Licht „crackt“, wie der Experte das Ausmerzen nennt, sämtliche Keime, bevor das Wasser in die Bassins strömt. „Maximal zehn Liter pro Sekunde könnten wir entnehmen. Wir liegen heute bei dem halben Wert“, nennt Dr. Hagemever eine Größenordnung, als er die Tür zur Aufzuchtstation öffnet. Sprudelndes Wasser gibt in der Halle im wahrsten Sinne des Wortes den Ton an. Grüne Plastikbecken, drei Meter im Durchmesser, reihen sich aneinander. Abgedeckt mit schwarzen Planen. Griffbereit daneben stecken in Röhren jeweils ein Kescher und eine Bürste.
„Die Hygiene steht bei uns natürlich an erster Stelle. Deshalb gehört zu jedem einzelnen Becken auch immer die ganz spezielle Ausrüstung, um eine mögliche Übertragung von Krankheiten auszuschließen“, erläutert der Initiator den Sinn der Vorsichtsmaßnahme. Drei ehrenamtliche Fachleute betreuen die Anlage, die sich weitgehend selbst steuert. Dazu gehören auch die elektronischen Fütterungsautomaten. Stufenweise erfolgt die Aufzucht. In einem Becken „stehen“ Lachse in der für diese Art typischen Weise „fast alle am Grund“. „Das sind einjährige Tiere, die wir nicht ausgesetzt haben, um sie später für die Fortpflanzung zu nutzen“, lenkt Dr. Hagemeyer das Interesse auf den besonderen Lebenszyklus der Fische, die einmal im Jahr „den Drang zum Salzwasser spüren und ins Meer wandern“.
Sind sie Fische groß genug, werden sie von Dr. Rainer Hagemeyer und seinen Mitarbeitern ausgesetzt
Zwischen Mitte April und Anfang Mai bringt die Einrichtung an der Hasper Talsperre in Fluss, was sich die 140 Mitglieder des Trägervereins auf ihre Fahne geschrieben haben: die Wiederansiedelung der Lachse in heimischen Gewässern. „Unser Ziel ist es, Rückkehrer zu bekommen“, betont der Projektbetreiber und verweist auf das „Wanderfischprogramm Nordrhein Westfalen“, das unter anderem die Sieg, die untere Ruhr oder die Rur in der Eifel neu beleben möchte. Nach den Vorstellungen der Behörden soll die Station dafür den Bedarf an Junglachsen „für die kommenden zehn Jahre ganz sichern“. Um den alten Bekannten („Der Lachs ist in unseren Breiten länger heimisch als der Homo sapiens“) dauerhaft zu erhalten, rechnet Dr. Hagemeyer mit langfristigen Einsetzaktionen von gezüchteten Tieren. „Mindestens 25 Jahre müssen wir noch etwas tun, bevor die Fische selbst so weit sind und die Rückkehrer Rate ausreicht“, schätzt der Experte. Ihre Lachseier bezieht die Einrichtung aus Schweden. Für die „Erbrütung“ wie es im Fachjargon heißt, stehen in der Staumauer der Hasper Talsperre zahlreiche Schränke zur Verfügung, „Auch diese kühlen Räume sind für unsere Zwecke ideal“, zeigt sich der Vorsitzende des Trägervereins begeistert.
Bei der verstärkten Suche nach weiteren Sponsoren setzt der Projekt Betreiber nicht nur auf die Traumbilder aus Alaska, sondern auch auf eine untrügerische Signalwirkung: „Wo der Lachs hinkommt, dort ist die Natur absolut in Ordnung.“
12.07.2003, Wochenend Magazin der AG Westfalen.